Home » News » Der Pieks, der Leben rettet – und mehr Leben retten könnte
News

Der Pieks, der Leben rettet – und mehr Leben retten könnte

© Foto: S. Vidal via Shutterstock
© Foto: S. Vidal via Shutterstock

Dr. Nicole Gusset

Präsidentin SMA Schweiz und Mutter zweier Töchter, wobei die ältere mit SMA lebt
© Foto: Philipp Wente

Alle Eltern kennen den Pieks, mit dem ihrem Baby in den ersten Lebenstagen etwas Blut an der Ferse entnommen wird. Viele werden sich jedoch kaum Gedanken darüber machen, welche Geschichten sich hinter den einzelnen Blutstropfen verbergen.

In der Schweiz gibt es diese Reihenuntersuchung an Neugeborenen («Neugeborenen-Screening»), den Guthrie-Test, seit über
50 Jahren. Werden die getesteten Krankheiten nicht behandelt, sind sie schwerwiegend, und es kommt meist zu schweren Organschädigungen und Entwicklungsstörungen. 

Wer nun aber denkt, dass sobald es eine Therapie für eine schwere Krankheit gibt, diese automatisch in das «Neugeborenen-Screening» aufgenommen wird, der irrt sich. «Eltern, die heute die Diagnose Spinale Muskelatrophie (SMA) erhalten, sind verzweifelt, wütend und fassungslos, wenn sie realisieren, dass ihr Kind in Nachbarländern kurz nach der Geburt gescreent worden wäre und somit sofort hätte behandelt werden können», sagt Nicole Gusset, Präsidentin von SMA Schweiz. SMA ist eine dieser schweren Erkrankungen, die unbehandelt zum Verlust aller motorischen Funktionen und schliesslich sogar zum Tod führt. Für SMA gibt es aber seit wenigen Jahren effektive Therapien, die in der Schweiz zugelassen sind. Da die Krankheit zum Absterben von Motoneuronen führt, die sich nicht regenerieren, ist eine schnelle Behandlung besonders wichtig. 

In der Schweiz muss sich jemand (meist sind es Ärzte) aktiv dafür entscheiden, ein aufwendiges Anwendungskonzept zu erstellen, das dann vom Bundesamt für Gesundheit BAG bewilligt werden muss. Ein oft langwieriger Prozess. Dass während der vielen Monate oder gar Jahre, die es dauert, Kinder geboren werden, die dann unnötigerweise zuerst Krankheitssymptome entwickeln müssen, bevor sie ihre Diagnose erhalten, scheint zweitrangig. Doch können wir das wirklich gutheissen? Heute umfasst der Guthrie-Test in der Schweiz gerade mal zehn Krankheiten.

«SMA ist nur die Spitze des Eisberges. Wir haben neue innovative Therapien für eine seltene genetische Krankheit. Weitere werden folgen», sagt Nicole Gusset. «Das System in der Schweiz muss sich darauf vorbereiten, dass Therapien für weitere seltene Erkrankungen entwickelt werden, die dann im Guthrie-Test aufgenommen werden müssen. Künftig müsste dies sofort geschehen und nicht erst nach Jahren.» Denn mit jedem Tag, der verstreicht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baby zur Welt kommt, das eigentlich früh hätte behandelt werden können.

Unverständlich, dass SMA in der Schweiz noch nicht im Guthrie-Test aufgenommen worden ist. Auch im Vergleich mit dem europäischen Ausland hinkt die Schweiz hier traurigerweise hinterher und verkommt zum Schlusslicht.  

Spinale Muskelatrophie (SMA)

Spinale Muskelatrophie (SMA)

SMA ist eine seltene und schwere neuromuskuläre Erkrankung. Sie bewirkt einen fortschreitenden Verlust von Motoneuronen und in der Folge Muskelschwund, was schliesslich zum Verlust der Atemmuskulatur und zum Tod führt. SMA ist genetisch bedingt: Ein Fehler im Survival-Motor-Neuron(SMN)-1-Gen führt zu einem Mangel am SMN-Protein. Dieses wiederum spielt eine wichtige Rolle beim Überleben und dem Erhalt der Motoneuronen und weiterer Zellen im Körper. SMA hat verschiedene Ausprägungen, die sich in der Schwere der Symptome unterscheiden.

Next article