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Genetische Krankheiten – Der lange Weg zur Diagnose

© Foto: Thomas Suhner

Prof. Dr. med. Anita Rauch

Direktorin und Ordinaria für Medizinische Genetik Institut für Medizinische Genetik Universität Zürich
© Foto: ZVG

Es tut sich viel in der Genetik, und immer mehr genetische Krankheiten können dank neuer Verfahren diagnostiziert werden. Manchmal dauert das allerdings Jahre.
Prof. Dr. med. Anita Rauch ist Direktorin am Institut für Medizinische Genetik sowie Präsidentin des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten.

Frau Prof. Dr. Rauch, wann gilt eine Krankheit als selten?

In der Schweiz und in Europa gilt eine Krankheit als selten, wenn sie höchstens fünf von 10.000 Personen betrifft. Die Zahl der von einer einzelnen Krankheit betroffenen Menschen ist damit zwar niedrig. Bedenkt man aber, dass es etwa 8.000 solcher Krankheiten gibt, ist die Gesamtsumme dann entsprechend hoch. In der Schweiz geht man von etwa 500.000 Betroffenen aus, was rund sieben Prozent der Bevölkerung entspricht. 

Wer von einer seltenen Krankheit betroffen ist, wartet im Durchschnitt fünf Jahre auf die Diagnose. Weshalb ist es so anspruchsvoll, eine seltene Krankheit zu diagnostizieren?

Die verzögerte Diagnosestellung hängt zumeist von verschiedenen Faktoren ab. So haben Betroffene oftmals eine lange Ärzteodyssee hinter sich, weil ihre Symptome keiner Krankheit zugeordnet werden können. Die Seltenheit der Krankheitsbilder führt dazu, dass die Ärztinnen und Ärzte diese in der Praxis nie oder nur selten sehen und entsprechend keine Erfahrung damit haben. Wird dann eine genetische Erkrankung vermutet, muss zuerst eine Kostengutsprache bei der Krankenkasse eingeholt werden. Auch das braucht wieder Zeit. Bis dann endlich genetische Tests durchgeführt werden können und im besten Fall eine Diagnose vorliegt, können Monate bis Jahre vergehen. 

Rund 80 Prozent der seltenen Krankheiten sind genetisch bedingt, nur fünf Prozent sind bislang genauer erforscht. Was tut sich hier derzeit?

Die Forschung läuft auf Hochtouren und es werden jährlich etwa 200 neue Krankheitsgene entdeckt. Zudem erlangen wir ein immer grösseres Verständnis dafür, welche Veränderungen im Krankheitsgen welche konkreten Auswirkungen haben. So wissen wir heute, dass verschiedene Krankheiten durch das gleiche Gen verursacht werden können. Umgekehrt kann auch ein Krankheitsbild durch unterschiedliche Gene ausgelöst werden.

Dank der sogenannten Hochdurchsatz-Sequenzierungstechnik kann heute schneller das ganze Erbgut nach Defekten untersucht werden. Was bedeutet das für die Genetik?

Für die Genetik ist dieses Verfahren ein Segen, es hat die humangenetische Diagnostik revolutioniert. Damit gelingt es uns, bei rund der Hälfte der Betroffenen eine Diagnose zu stellen. Und auch jene, die vorerst keinen Befund haben, dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Die technischen Möglichkeiten verbessern sich stetig, und jedes Jahr werden wieder neue Krankheitsgene entdeckt. 

Nur für wenige der seltenen Krankheiten gibt es tatsächlich eine Therapie. Welche Fortschritte werden hier derzeit erzielt?

Auch hier ist die Forschung auf einem guten Weg und kann zahlreiche Therapieerfolge verzeichnen. Die Zulassungen für Medikamente bei seltenen Krankheiten, die sogenannten Orphan Drugs, nehmen zu. Wegen der Seltenheit der Krankheiten und der Betroffenen, die überhaupt bei Studien mitmachen können, erhalten Orphan Drugs erleichterte Zulassungsbedingungen. 

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